Vervielfältigung des gesamten Handelsregisters zu gewerblichen Zwecken

Bundesgerichtshof

Beschluss v. 12.07.1989 - Az.: IVa ARZ (VZ) 9/88

Leitsatz

1. Das Recht auf Einsicht in das Handelsregister ist weit gefasst und umfasst auch die Durchsicht großer Teile oder des ganzen Registers sowie die Dokumentation durch geselbstgefertigte Abschriften gegebenfalls unter Zuhilfenmahme technischer Reproduktionsgeräte.

2. § 9 HGB gibt aber kein Recht auf Gestattung der Mikroverfilmung des gesamten Bestandes des Handelsregisters, um sie als eigene Datei in Konkurrenz zum Handelsregister gewerblich zu verwerten. Die Gestattung eines solchen Vorhabens steht im Ermessen der Justizverwaltung.

Tenor

In der Rechtssache betreffend den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG

der (…):

Der IVa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch (…) am 12. Juli 1989 beschlossen:

1. Der Antrag vom 15. April 1988 wird zurückgewiesen.

Geschäftswert: 100.000 DM.

Sachverhalt

1.

Die Antragstellerin betreibt gewerbsmäßig unter Verwertung der Vorteile elektronischer Datenverarbeitung einen Wirtschaftsinformationsdienst.

Im Zuge des Aufbaus eines Datenfernübertragungssystems beabsichtigt sie, sämtliche im Bundesgebiet im Handelsregister der rund 440 Registergerichte eingetragene Firmen nach einer bestimmten Struktur datenmäßig zu erfassen.

Zu diesem Zweck begehrt die Antragstellerin die Genehmigung, unter Einsatz eigener Hilfsmittel und eigenen Personals das gesamte Handelsregister (Handelsregisterkarten A und B und die zum Register eingereichten Schriftstücke) durch Mikroverfilmung aufzunehmen.

Durch die anschließende Auswertung künftiger firmenbezogener Veröffentlichungen im Bundesanzeiger soll nach dem Vorhaben der Antragstellerin ein aktuelles und vollständiges Informationssystem auf privatwirtschaftlicher Basis unterhalten werden.

Einen unter anderem auch beim Amtsgericht Friedberg gestellten Antrag, ihr die Mikroverfilmung und elektronische Speicherung der Eintragungen des Handelsregisters zu gestatten, hat der Direktor des Amtsgerichts zurückgewiesen. Er hat sich zur Begründung auf ein an die Antragstellerin gerichtetes Schreiben des Hessischen Ministers der Justiz vom 22. Februar 1988 (3822 - II/6 - 701/87) bezogen.

Die Antragstellerin sieht sich durch die Ablehnung des Antrags in ihren Rechten aus S 9 HGB verletzt. Zudem sei die Vorschrift durch Art. 3 Abs. 3 S. l der ersten EG-Richtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 9. März 1968 dahin auszulegen, daß ihr Begehren vom Recht der Einsichtnahme in das Handelsregister gedeckt sei.

Sie hat deshalb mit Schriftsatz an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 15. April 1988 im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG die gerichtliche Entscheidung über den Bescheid des Direktors des Amtsgerichts Friedberg vom 30. März 1988 dahin beantragt, unter Aufhebung des vorbezeichneten Bescheides ihrem Antrag vom 23. März 1988 stattzugeben und auszusprechen, daß ihr zu gestatten ist, selbst Abschriften von den zum Handelsregister eingereichten Schriftstücken und den Handelsregisterkarten (A und B), soweit diese für den Aufbau von Datenbanken durch sie, die Antragstellerin, von Interesse sind, durch Mikroverfilmung oder andere ihr geeignet erscheinende technische Hilfsmittel anzufertigen; hilfsweise, die Frage der Zulässigkeit der Mikroverfilmung gemäß § 177 Abs. 2 EWGV dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Das an dem Verfahren beteiligte Land Hessen hat beantragt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.

2.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hält den Antrag für zulässig. Es ist der Auffassung, daß über den Gegenstand des Antrags im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG zu entscheiden sei. Die Führung des Handelsregisters sei den Gerichten übertragen (§§ 8 HGB, 125 FGG), das sich aus den §§ 9 HGB, 10, 29, 30 HRV ergebende Einsichtsrecht werde von ihnen gewährt.

Das Begehren der Antragstellerin betreffe aber nicht einen Einzelfall, sondern alle Eintragungen des Handelsregisters. Es richte sich zwar an ein einzelnes Registergericht, erstrebt werde aber notwendigerweise eine möglichst einheitliche Regelung für alle Handelsregister.

Die Errichtung der geplanten Datei der Antragstellerin würde in Frage gestellt, wenn diese nicht die Daten fast aller Handelsregister wiederzugeben in der Lage wäre. Dem zu entsprechen oder nicht zu entsprechen, sehe der Senat - unbeschadet der Rechte des Gerichts aus den §§ 8 und 9 HGB - als Sache der Justizverwaltung an; denn es gehe der Antragstellerin nicht um Einsicht in einzelne Teile des Registers, sondern um die Offenlegung des Handelsregisters insgesamt.

Ein Eingriff in die Rechtsprechung könne darin nicht erblickt werden; der Rechtsprechung fehle meist auch der Überblick über haushaltsrechtliche und technische Möglichkeiten, die bei der Entscheidung des Antrags ebenfalls eine Rolle spielen könnten.

Das Oberlandesgericht sieht sich aber an einer Sachentscheidung durch die aufgrund des § 23 EGGVG ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 12. Oktober 1988 - 9 VA 3/88 - (CR 1988, 1000) gehindert.

Dort ist in einem gleichgelagerten Fall ausgesprochen worden, daß eine Sachentscheidung über den Gegenstand des Antrags ausschließlich das Registergericht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu treffen habe. Die Publizität des Handelsregisters, ihre Gewährleistung, Sicherstellung und Abgrenzung sei Aufgabe der Gerichte und nicht der Verwaltung.

Ob der Publizität des Handelsregisters auch atypische Benutzungsarten, z.B. Durchsicht zu Studienzwecken oder ähnliches zuzuordnen seien - eine dem § 35 der AV über die geschäftliche Behandlung der Grundbuchsachen (AVGBO) entsprechende Bestimmung fehle für das Handelsregisterrecht -, könne dahinstehen, denn das Begehren der Antragstellerin betreffe, wenn auch nur mittelbar, die Publizität des Registers.

Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß Durchführung und Handhabung des Einsichtsrechts in das Register zur Kompetenz der Justizverwaltungsbehörde im Sinne des § 23 EGGVG gehören. Wer über den Umfang der Einsicht in das Register entscheide, bestimme grundsätzlich auch Art und Weise der Einsicht im Einzelfall.

Im übrigen könnte bei der von der Antragstellerin angenommenen Aufspaltung in eine Entscheidung über die Registereinsicht dem Grunde nach und über die Art und Weise der Handhabung nicht vorab über das Wie entschieden werden, solange nicht über den Grund befunden worden sei.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat daher die Sache gemäß § 29 Abs. l S. 2 EGGVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

3.

Die Vorlage ist zulässig. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Vorlage ist von der rechtlichen Beurteilung auszugehen, die das vorlegende Oberlandesgericht seinem Vorlagebeschluß zugrunde gelegt hat (BGHZ 77, 209, 211).

Danach würde das Oberlandesgericht Frankfurt am Main bei seiner beabsichtigten Entscheidung von der Entscheidung des Oberlandesgerichts München abweichen.

4.

Der Bundesgerichtshof hat deshalb nach § 29 Abs. l S. 3 EGGVG über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 5. April 1988 zu befinden.

Entscheidungsgründe

5.

Der Antrag ist zulässig.

a) In der Beantwortung der Streitfrage nach der Zuständigkeit über die Entscheidung, ob die Antragstellerin das gesamte Handelsregister auf Mikrofilm aufnehmen darf, ist der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts beizutreten.

Das Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, daß die für die Führung des Registers zuständige Stelle, nämlich zunächst der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des jeweiligen Amtsgerichts (§§ 8 HGB, 125 FGG) auch für die Gewährung der nach § 9 Abs. l HGB gestatteten Einsicht zuständig ist (§§ 10, 29, 30 HRV).

Um eine Einsicht in das Handelsregister in diesem Sinne geht es indessen beim Begehren der Antragstellerin nicht.

Zwar ist dieses Recht auf Einsicht weit gefaßt und vom Nachweis eines Interesses oder gar eines berechtigten Interesses nicht abhängig. Es ist nicht auf die Einsicht in einzelne Eintragungen beschränkt.

Deshalb ist es verfehlt, eine - nur einzelne Eintragungen betreffende -Einsicht begrifflich von einer - große Teile oder das ganze Register erfassenden - Durchsicht zu unterscheiden.

Auch umfaßt das Recht auf Einsicht das selbstverständliche Recht, diese Einsicht durch selbstgefertigte Abschriften zu dokumentieren. Dabei kann der Einsichtnehmende nicht auf handschriftliche Notizen verwiesen werden.

Inwieweit der Einsatz moderner technischer Reproduktionsgeräte zum Recht auf Einsicht gehört, bedarf indessen hier keiner abschließenden Entscheidung.

Denn die Antragstellerin begehrt etwas wesensmäßig anderes. Ihr geht es nicht um die bestimmungsgemäße Benutzung des Handelsregisters, um daraus benötigte Informationen zu gewinnen; sie will vielmehr erklärtermaßen den gesamten Bestand des Registers ablichten und als eigene Datei in Konkurrenz zum Handelsregister gewerblich verwerten und damit die weitere Benutzung des Handelsregisters in weiten Bereichen entbehrlich machen.

Das geht über eine Einsicht in das Register weit hinaus und wird vom Recht auf Einsicht in § 9 Abs. l HGB nicht gedeckt.

Der für die Gewährung von Einsicht in das Handelsregister funktionell zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ist deshalb nicht befugt, die Ablichtung des vollständigen Registers zu Zwecken der Errichtung einer konkurrierenden Datei zu gestatten.

Die Genehmigung dazu zu erteilen, ist vielmehr Sache der Justizverwaltung. Gegen die Versagung der Genehmigung ist der Rechtsweg nach den §§ 23 ff. EGGVG gegeben.

b) Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben (§§ 24, 26, 28 EGGVG). Der Antrag ist form- und fristgerecht nach Erschöpfung der Beschwerdemöglichkeiten gestellt worden und genügt den inhaltlichen Anforderungen.

6.

Der Antrag ist aber nicht begründet. Die Antragstellerin ist durch die Versagung der beantragten Genehmigung nicht in ihren Rechten verletzt worden.

a) Wie bereits ausgeführt, gibt § 9 Abs. 1 HGB der Antragstellerin kein Recht, ihr die vollständige Mikroverfilmung des Handelsregisters zu gestatten.

Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 der Publizitäts-Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft vom 14. März 1968 Nr. L65-8).

Danach sind vollständige oder auszugsweise Abschriften der in einem Handels- oder Gesellschaftsregister verzeichneten oder hinterlegten Urkunden oder Angaben auf schriftliches Verlangen zuzusenden. Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift decken also das Begehren der Antragstellerin nicht.

Bei dieser eindeutigen Rechtslage bedarf es weder eines Eingehens auf den rechtlichen Charakter der Richtlinie, noch ist eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof geboten.

b) Auch wenn der Antragstellerin kein subjektives Recht auf Gestattung der vollständigen Mikroverfilmung des Handelsregisters zusteht, hat sie doch einen Anspruch darauf, daß die Justizverwaltung die danach in ihrem Ermessen liegende Entscheidung ermessensfehlerfrei trifft.

Im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG prüft das Gericht auch nach, ob die Ablehnung eines Antrags deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 28 Abs. 3 EGGVG).

Einen Ermessensfehler der Justizverwaltung hat die Antragstellerin - von ihrem Rechtsstandpunkt aus konsequent -nicht geltend gemacht. Ihrem Antrag auf Aufhebung der angegriffenen Entscheidung wäre aber stattzugeben, wenn ein Ermessensfehler vorläge. Das ist indessen nicht der Fall.

Der Direktor des Amtsgerichts hat sich bei seiner ablehnenden Entscheidung die Erwägungen des Hessischen Ministers der Justiz in seinem Schreiben an die Antragstellerin vom 22. Februar 1988 zu eigen gemacht. Darin heißt es:

"Der für die Regelungen der Einsicht in das Handelsregister zuständige Bundesgesetzgeber hat sich bewußt für ein dezentrales Handelsregister entschieden; dies ist zuletzt im Zusammenhang mit den Überlegungen der Umsetzung der EWG-Bilanzrichtlinien in Bundesrecht deutlich geworden.

Bei der Abfassung des jetzt geltenden § 9 HGB waren Vorhaben, wie jetzt von Ihnen geplant, nicht im Bereich der gesetzgeberischen Überlegungen. Der Zweck der zu gewährenden Einsicht in das Handelsregister war nicht der einer wirtschaftlichen Verwertung des Handelsregisters durch Privatfirmen.

Nachdem die technische Entwicklung insoweit neue Möglichkeiten aufgezeigt hat und wenn tatsächlich ein wirtschaftliches Bedürfnis für Projekte wie das von Ihnen geplante besteht, müßte m.E. der Gesetzgeber eine entsprechende Grundsatzentscheidung treffen.

Hierbei wären - gegenüber den früheren gesetzgeberischen Überlegungen völlig neu - auch Datenschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Sicherheiten ein privates, auf wirtschaftlichen Gewinn ausgerichtetes Unternehmen gegenüber einem Mißbrauch der technischen Möglichkeiten bieten kann.

Mit der zentralen Datenbank in Ihrem Sinne könnten Informationsprofile erstellt werden, die möglicherweise den Kernbereich der informationellen Selbstbestimmung tangieren.

Aus der Sicht des Datenschutzes steht fest, daß die Verfilmung des Registers durch eine private Gesellschaft und das Anbieten der so gewonnenen Daten zur umfassenden Information Dritter im Wege der Datenübermittlung eine Verarbeitung personenbezogener Daten darstellt.

Diese Übermittlung personenbezogener Daten berührt das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen in einem wesentlich größeren Ausmaß als die bisher mögliche Einsicht in das Handelsregister und bedarf deshalb einer hinreichenden Rechtsgrundlage."

Die Justizverwaltung hat also hauptsächlich darauf abgehoben, daß das Vorhaben der Antragstellerin der Errichtung eines zentralen Handelsregisters nahekäme und daß sie ein solches den Datenschutz berührendes und in den beteiligten Kreisen wie bei Bund und Ländern umstrittenes Vorhaben nicht ohne gesetzliche Grundlage genehmigen wolle.

Diese sachbezogenen Erwägungen ergeben keinen Anhaltspunkt für einen Ermessensfehlgebrauch.